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Zum Nachhören: RiFG Dr. Carsten Meinert „Rechtschutz bei elektronischer Veranlagung“ Finanzgerichtstag 2014

„Die Digitalisierung darf nicht zu Lasten des Steuerpflichtigen ausfallen, denn sie dient der Entlastung der Verwaltung“, sagte RiFG Dr. Carsten Meinert (Köln). Er sprach auf dem Finanzgerichtstag 2014 über Rechtsschutz im Rahmen der elektronischen Veranlagung. Bei seiner Aussage zum Risikomanagement der Finanzverwaltung bin ich fast vom Stuhl gerutscht.

Im Frühjahr 2012 recherchierte ich zum Thema Risikomanagement (RMS), der maschinellen Fallauswahl zur Betriebsprüfung. Die Recherche verlief zäh. Die detailliertesten Infos zum RMS bekam ich über anonyme Quellen. Und die interessantesten Fragen konnte ich nur aufwerfen, aber nicht endgültig klären. (StBMag 6/2012 Seite 8, NWB DokID: OAAAE-10435)

So wäre es ja sehr interessant zu wissen, wie der Vermerk über den Steuerberater zu werten ist. Denn auf dem RMS-Datenblatt wird auch der StB des Steuerpflichtigen erfasst.

Beeinflusst dieser Vermerk die Einstufung des Steuerpflichtigen in eine der vier Fallklassen? Wird das RMS stutzig, wenn mein neuer steuerlicher Berater ein bekannter Experte für Steuerstrafrecht ist? Oder weil bekannt ist, dass er viele schwarze Schäfchen in seiner Mandantschaft hat? Kann ich mir etwa als Finanzamt mal anzeigen lassen, welche Schäfchen StB XY so betreut? Wie pünktlich er insgesamt abgibt? Wie viele Einsprüche aus seiner Kanzlei kommen? Kurzum: Kann ich mir als Finanzamt aus den Daten ein Ranking der StB erstellen?

Klären konnte ich das nicht. Der DStV forderte damals, eine steuerliche Beratung als positives compliance-Merkmal zu werten. Die Behörden gaben sich zugeknöpft.

Manchmal bin ich ja naiv. So dachte ich mir, okay, das RMS-Datenblatt ist halt nicht öffentlich. Aber wenn ein Richter ankommt, dann darf der sicherlich Einblick nehmen. Nach Meinerts Vortrag war ich um eine Illusion ärmer.

Die Finanzämter verweigern die Einsicht in das RMS-Datenblatt. Meinert sieht aber gute Gründe für eine Offenlegungspflicht. Seine Aussagen zum RMS habe ich unten kurz zusammengefasst. Er sprach aber auch über ELSTER und die E-Bilanz.

Der Vortrag ist jetzt ein gutes Jahr alt. Selbst wenn jetzt neue Erkenntnisse vorliegen, bietet der Vortrag einen guten Einstieg in das Thema. Der Tagungsband soll in Kürze beim Boorberg-Verlag erscheinen.

Herzlichen Dank an Carsten Meinert, dass ich den Vortrag hier zum Nachhören anbieten kann.

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Meinerts wichtigste Aussagen zum Risikomanagement (RMS)

  • Fallklassen: Es gibt vier Fallklassen, 1 bis 3 und die Klasse BP. Die Zuordnung erfolgt nach objektiven Kriterien (Zahlen) und nach der steuerlichen Integrität des Steuerpflichtigen, dazu zählt beispielsweise: das Abgabeverhalten und ein vom Sachbearbeiter subjektive eingeschätzter compliance-Faktor.
  • Maschinelle Bearbeitung: Bis zur Fallklasse 3 wird rein maschinell bearbeitet, so lange kein Prüfhinweis ausgeworfen wird.
  • Empfindlichkeit: Die Filter lassen sich – je nach Arbeitsauslastung des Finanzamts – in ihrer Empfindlichkeit einstellen.
  • Rechtsgrundlage: Die Rechtsgrundlage ist nicht eindeutig, zwar dürfe die Finanzverwaltung festlegen wie und welche Daten erhoben werden (Paragraph 88 Abs. 3 AO), doch die dazugehörige Verordnungsermächtigung fehlt nach wie vor – obwohl das RMS seine Pilot-Phase längst beendet habe und im Echtzeitbetrieb laufe.
  • Gesetz- und Gleichmäßigkeit: Es ist unklar, ob ein RMS die Gesetz- und Gleichmäßigkeit der Besteuerung gewährleisten kann.
  • Bericht der Rechnungshöfe: Aufgrund einer zu geringen Datenbasis, zu schlechten Risikiofiltern und einer zu geringen Bearbeitungsqualität von Prüfhinweisen könne nicht von einer Gesetz- und Gleichmäßigkeit der Besteuerung ausgegangen werden. Diese Mängel seien zwar auch im alten Papierverfahren anzutreffen, aber beim RMS wögen sie schwerer, weil sie strukturell angelegt seien: Falsche Werte würden im Folgejahr als geprüft angesehen und als Vergleichswert angelegt.
  • Verfassungsmäßigkeit: Diese Mängel wögen zwar schwer, seien aber noch im Rahmen der Verfassung. Da – wie beim Zinsurteil des BVerfG von 1991 – diese Vollzugsdefizite nachgebessert werden könnten.
  • Rechnungshöfe und Gerichte: Die Überprüfung der Rechtmäßigkeit des RMS sei ureigenste Aufgabe der Gerichte.
  • RMS-Datenblatt: Die Überprüfung werde den Gerichten aber erschwert, da die Finanzämter die Herausgabe der RMS-Datenblätter verweigerten. Die Finanzverwaltung argumentiert hier, dass Steuerpflichtige auch im alten Verfahren keine Rechtsmittel gegen eine intensivere Prüfung ihres Falls gehabt hätten.
  • Grundrecht: Dem hielt Meinert entgegen, dass jedes Verwaltungshandeln an die Grundrechte gebunden sei.
  • Recht auf informationelle Selbstbestimmung: Sie untersagt die Datenspeicherung zu unbestimmten Zwecken und die Speicherung falscher Daten.
  • Die Verletzung subjektiver Rechte scheint möglich. Etwa durch eine Risikoklassen-Hochstufung aufgrund des wiederholten Ersuchens gerichtlichen Rechtsschutzes, Konsultation bestimmter Steuerberater oder weil Erkenntnisse gespeichert werden könnten, die einem Verwertungsverbot unterliegen.
  • Meinert: Es spricht viel für eine Offenlegungspflicht des RMS-Datenblatts, weil es Teil der Akte ist und für die Steuerfestsetzung relevante Informationen enthalten kann – und zur Überprüfung dieser Praxis sei nun mal eine gerichtliche Kontrolle vorgesehen.
  • Es sei denkbar, die Herausgabe auf vergangene Fälle zu beschränken, um eine Vorhersagbarkeit auszuschließen.